#4: Selbstbestimmtheit als Booster für unser Wohlbefinden?
- Matthias Rainer
- 25. März 2024
- 14 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Apr. 2024
Inhalte:
1. Warum Selbstbestimmtheit wichtig ist...
Sara steht vor einem Spiegel, aber erkennt sich darin nicht wieder. Ihre Augen sind rot und klein und ihr Makeup von heißen Tränen verschmiert. Auch ihr Haar ist durcheinander, und sie fühlt sich, als wäre sie von einem emotionalen Lastwagen überrollt worden.
Ein paar Minuten davor schien ihre Welt noch in Ordnung zu sein. Es war 2016 und Sara hatte sich mit einer ehemaligen Studienkollegin in Los Angeles auf ein paar Drinks getroffen, um alte Zeiten wieder hochleben zu lassen.
Die Frage „Sara, bist du glücklich?“ kam aus dem Nichts und traf sie wie ein harter Schlag im Gesicht. Sie fühlte, wie etwas über ihr Gesicht hinunterrann und in den Schoß tropfe - sie verschwand auf der Toilette. Vorm Spiegel stehend wurde ihr schmerzlich bewusst, dass sie vieles hatte, wovon andere vielleicht träumen würden, aber nicht glücklich war. Sie lebte ein Leben, das sie nicht wollte.
Ein paar Tage später hatte sie ihre erste Panikattacke, die von einem Gefühl der Ohnmacht begleitet wurde. Sie verlor die Kontrolle über Arme und Beine und konnte nichts gegen die Reaktion ihres Körpers machen. Auch ihre Schwester und die Sanitäter nicht, die bei ihr waren, als sie das Flugzeug, das in Kürze ohne sie starten würde, verließen. In diesem Moment dämmerte ihr, dass nur sie es war, die sich retten konnte.
Das Leben, das Sara führte, war das Leben einer Fremden. Es passte nicht zu ihr. Sie hatte der Verbindung zu sich selbst nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Sie war in einer Ehe und einem sozialen Umfeld, die/das sie nicht glücklich machten. Außerdem hatte sie nicht wirklich eine eigene Meinung. Entscheidungen, die nicht auf ihren inneren Werten, Überzeugung und Neigungen beruhten, hatten zu einem Leben geführt, das ihr immer weniger Luft zum Atmen ließ.
Nachdem sie realisiert hatte, was das Problem war, versuchte sie, mehr auf ihre Werte, Wünsche und Bedürfnisse zu hören, um ihr Leben so wieder mehr nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Es war hart, gegen den Strom aus fremden Erwartungen zu rudern und es sollten noch zwei Jahre mit Angstzuständen und Panikattacken folgen, bevor es Sara in ruhigere Gewässer schaffte.
Indem Sie wieder mehr damit anfing, das zu machen, was ihr wirklich wichtig war, gelang es ihr schließlich, sich selbst und damit ihr Glück auf dieser Abenteuerreise wiederzuentdecken.
Mittlerweile ist Dr. Sara Kuburic unter anderem als millennial.therapist auf Instagram bekannt und hilft Menschen dabei, sich selbst (wieder-)zu-entdecken. Als ‚Existential Therapist‘ behandelt sie Personen, die die Verbindung zu sich selbst - ihren Werten, Überzeugungen und Neigungen - (wieder-)finden wollen.
Die Geschichte von Sara zeigt, wie wichtig es für unser Wohlbefinden sein kann, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Was Selbstbestimmtheit ist und nicht ist, sehen wir uns im Folgenden genauer an…
2. Was ist Selbstbestimmtheit? - eine erste Definition
Bei einer Zwangsheirat entscheiden nicht die Hauptakteure, sondern deren Eltern, wer wen heiratet. Selbstbestimmtheit ist etwas anderes: Sie ist verbunden mit dem Gefühl, dass das eigene Verhalten selbst gewählt, also nicht das Ergebnis von Kontrolle oder Druck von außen ist.
Selbstbestimmtheit bezieht sich auf die Fähigkeit einer Person, ihre eigenen Ziele, Werte und Entscheidungen zu bestimmen und zu verfolgen.
Wir also selbst entscheiden können, ob und wen wir heiraten, was wir machen, wie wir unser Leben gestalten.

Selbstbestimmtheit ist eines von drei psychologischen Grundbedürfnissen (mehr dazu in #3: Persönlicher Erfolg und Bedürfnisse) und kann auf verschiedene Weise unser Wohlbefinden beeinflussen. Sie kann führen zu…
mehr Motivation,
Erfüllung unserer wahren Bedürfnisse und Wünsche,
Stärkung unseres Selbstwertgefühls,
besseren Beziehungen.
3. Selbstbestimmtheit: Zwei Teile eines Atoms
Fühlt es sich nicht gut an, die eigenen Überzeugungen und Präferenzen zu leben? "Auf jeden Fall" werden sich jetzt die meisten denken. Im Alltag ist es aber nicht immer so offensichtlich wie bei der Zwangsehe, wann wir selbstbestimmt handeln. Selbstbestimmtheit hat mindestens zwei wichtige Elemente…
die Entscheidung selbst: Habe ich selbst (mit-)entschieden oder wurde für mich entschieden?, und...
die Motivation als Basis der Entscheidung: Warum habe ich mich für etwas Bestimmtes entschieden?
Es ist durchaus möglich, dass wir uns zwar selbstbestimmt für oder gegen etwas entscheiden, aber die sich daraus ergebende Tätigkeiten nicht unseren Überzeugungen oder Neigungen entsprechen.
Wir entscheiden uns beispielsweise für einen Job wegen der guten Bezahlung (externe Belohnung), aber die täglichen Aufgaben sind vielleicht nicht das, was wir längerfristig machen wollen. Aber genau sie sind es, die uns Energie geben oder rauben können.
Selbstbestimmtheit bedeutet auch, im Einklang mit sich selbst zu sein. Sich also so zu verhalten und unser Leben so zu gestalten, wie wir es gerne würden. Zu machen, was wir gerne tun, kann Energie geben und uns helfen, unser volles Potential zu entfalten.
4. Unser SELBST als Quelle der Motivation (=Energie)
Unser SELBST umfasst alle Eigenschaften, Überzeugungen, Werte und Erfahrungen, die uns als Person einzigartig machen.

Wir können uns das SELBST als einen Kompass vorstellen, der uns hilft, uns im Leben zu orientieren. Die Kraft, die die Nadel bewegt und uns in eine bestimmte Richtung gehen lässt, kann von außen (extrinsisch) und von innen (intrinsisch) kommen. Die Energie-von-innen kommt von unseren Überzeugungen und Werten, jene von außen wird genährt von externen Faktoren wie möglichen Belohnungen oder drohenden Bestrafungen. Unser Verhalten, unsere Entscheidungen können also extrinsisch (von außen) und intrinsisch (und von innen) motiviert sein.
Nehmen wir an, zwei Studentinnen sollen eine Zusammenfassung über ein bestimmtes Thema schreiben. Die eine interessiert sich auch persönlich für dieses, die andere eher nicht. Die Letztere wird vor allem von der Aussicht auf eine gute Note (extrinsisch) motiviert, die andere will mehr über das für sie wichtige Thema erfahren, sie ist intrinsisch motiviert. Es ist nahe liegend, dass auch die intrinsisch (also durch die Tätigkeit oder das Thema) motivierte Studentin gerne eine gute Note hätte. Vermutlich fällt es ihr leichter, eine gute Note zu bekommen, weil sie sich für das Thema interessiert. Sie würde sich damit beschäftigen, auch wenn sie nicht müsste.

Es ist also durchaus denkbar, dass man sowohl intrinsisch (durch die Tätigkeit) als auch extrinsisch (z.B. durch eine externe Belohnung wie eine gute Note oder gutes Gehalt) motiviert ist, aber eine gute Basis für mehr Energie, bessere Leistungen und mehr Wohlbefinden sind Aktivitäten, die für sich genommen bereits eine ‚Belohnung‘ sind. Damit ist gemeint, dass sie uns etwas geben, weil sie für uns persönlich wichtig, interessant oder im Einklang mit unseren Neigungen und Überzeugungen sind.
Würde man Selbstbestimmtheit mit einem Haus vergleichen, wäre intrinsisch motiviertes Verhalten (z.B. durch die Aktivität) der tragende Teil wie Fundament, Wände, Stützen und Säulen. Extrinsisch motiviertes Verhalten (z.B. durch Belohnungen od. Bestrafungen) dagegen wäre der nicht-tragende Teil wie Innenwände, Verkleidung, Fenster und Türen. Selbstbestimmtes Verhalten ist jenes, das am besten das SELBST (u.a. die eigenen Werte, Überzeugungen, Neigungen) repräsentiert.
Unser SELBST kann sich aber über Zeit verändern. Als persönlich wichtig identifizierte Verhaltensweisen können neu ‚aufgenommen‘ werden (siehe dazu Die Transformation: Von extrinsischer zu intrinsischer Motivation).
Nicht im Einklang mit sich selbst: 2 (extrinsische) Gründe
Es gibt Verhaltensweisen, die für uns persönlich wichtig sind, weil sie uns selbst und somit unsere einzigartige Persönlichkeit repräsentieren. Obwohl es nahe liegend wäre, verhalten wir uns nicht immer im Einklang mit unseren Überzeugungen und Werten, und dafür gibt es gute Gründe.
Belohnung / Bestrafung: So wie die Studentin, die sich hauptsächlich für die gute Note interessiert, kann unser Verhalten motiviert sein von der Aussicht auf eine Belohnung oder einer drohenden Bestrafung.
Erwartungen: Manchmal machen wir, was wir machen, weil wir uns schuldig fühlen würden, erfüllten wir nicht gewisse Erwartungen. Erwartungen können sich beispielsweise aus gesellschaftlichen Normen oder kulturellen Einflüsse ergeben: Eine Person könnte glauben, dass sie sich umweltbewusst verhalten sollte, indem sie recycelt, Müll reduziert und Energie spart. Je nach Ort und Kultur können die Erwartungen variieren. Für jemanden in einem Entwicklungsland, der täglich ums Überleben kämpft, hat Nachhaltigkeit höchst wahrscheinlich eine geringere Priorität.
Eine weitere Erwartung an sich selbst könnte sein, dass man glaubt, in einem bestimmten Alter heiraten und Kinder bekommen zu müssen.
Selbstbestimmtheit ist aber, wenn wir uns für oder gegen etwas entscheiden, weil es für uns persönlich wichtig / unwichtig ist und nicht wegen einer wahrgenommenen gesellschaftlichen Erwartung oder zu erwartenden Belohnung. Zugegeben, entgegen verschiedener Erwartungen zu handeln und sich so selbst 'treu zu bleiben' kann eine ziemliche Herausforderung, aber auch eine große Genugtuung sein.
Die Transformation: Von extrinsisch zu intrinsischer Motivation
Als persönlich wichtig IDENTIFIZIERT: Eine zunächst extrinsisch motivierte Verhaltensweise wird als persönlich wichtig identifiziert und beginnt, ein Teil des eigenen SELBST zu werden. Man macht etwas, nicht weil man muss, sondern weil man erkannt hat, wie persönlich wichtig eine bestimmte Verhaltensweise ist.
Ein Beispiel dafür könnte Max sein, der mit dem Rauchen aufhört. Anfangs beginnt er den Prozess aufgrund äußerer Faktoren wie gesundheitlichen Bedenken oder sozialem Druck. Aber im Laufe der Zeit lernt er, die Vorteile des Nichtrauchens tiefer zu verstehen und zu schätzen. Er erkennt das Nichtrauchen als persönlich wichtig an.

Ins SELBST integriert: Verhaltensweisen können als für einen selbst so wichtig wahrgenommen werden, dass sie ein Teil des SELBST werden.
Max erkennt beispielsweise, wie das Aufhören mit dem Rauchen nicht nur seine Gesundheit verbessert, sondern auch sein Selbstwertgefühl stärkt, seine Fitness steigert und seine sozialen Beziehungen verbessert. Als Folge davon integriert Max das Nichtrauchen in sein Leben auf einer tieferen Ebene. Er identifiziert sich nicht nur mit den Vorteilen des Nichtrauchens, sondern hat es zu einem integralen Bestandteil seiner Identität gemacht - er ist zum überzeugten Nichtraucher geworden.
5. Der heilige Gral der Motivation: Selbstbestimmtheit und glückliche Aktivitäten
Das Verfolgen von Zielen ist meist eine längerfristige Angelegenheit. So wie der Aufstieg auf der Karriereleiter, der einige Zeit dauern kann. Es scheint daher wichtig zu sein, dass es vor allem die Tätigkeit ist, die motiviert und nicht nur das (End-)Ziel. Die Zielerreichung sollte also über ‚glückliche‘ Aktivitäten laufen, die für uns persönlich wichtig und für sich genommen bereits eine Belohnung sind.

Unterm Strich scheint der Weg zum Ziel wichtiger zu sein als das Ziel selbst. „Der Weg ist das Ziel“ heißt ein bekanntes Sprichwort. Tatsächlich wiegen die regelmäßigen positiven Emotionen auf dem Weg zu einem größeren Ziel in Summe meist schwerer als die Zielerreichung selbst, die oft nur zu einem kurzfristigen Hoch führt.
Die Anhäufung von regelmäßig positiven Emotionen auf dem Weg kann zum Wachstum des Muskels der Zufriedenheit führen. Natürlich gibt es auch bei ‚glücklichen‘ Aktivitäten immer wieder Rückschläge und damit verbundene weniger positive oder sogar negative Emotionen. Tendenziell mag es aber leichter fallen, Hindernisse zu überspringen bei Aktivitäten und Zielen, die wir selbstbestimmt gewählt haben, weil sie mit unseren eigenen Werten und Präferenzen übereinstimmen.
Vor einigen Jahren während meines Betriebswirtschaftstudiums habe ich die Spezialisierung ‚Unternehmensfinanzierung’ gewählt, nicht weil es mich besonders interessiert hätte, sondern weil ich gute Jobchancen in diesem Bereich gesehen habe. Längerfristig hätte mich die damit verbundene tägliche Arbeit vielleicht nicht so begeistert. Dagegen gibt es Dinge wie das Schreiben, die in mir regelmäßig etwas Positives auslösen, Energie geben oder auch das Durchhaltevermögen stärken.

Wir können selbst entscheiden, ob wir das Leben „ertragen“ wollen oder als Hauptakteure die Aktivitäten wählen, die uns wirklich wichtig sind. Egal was vorher war, haben wir jederzeit die Möglichkeit, eine Kurskorrektur vorzunehmen, und wenn sie noch so gering ist. Ein chinesisches Sprichwort lautet: „Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die zweitbeste Zeit ist jetzt.“
6. Von Selbstbestimmtheit zum gesunden Selbstwert
In einem 1995 veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel kommen Edward Deci und Richard Ryan zu einem überraschenden Ergebnis: Es gibt mindestens zwei Selbstwerte, die unterschieden werden können: Der von außen abhängige Selbstwert und jener, der sich an den inneren Qualitäten einer Person orientiert. Bei beiden geht es darum, wie man sich selbst sieht, wie man den eigenen Wert einschätzt. Je nachdem was die Grundlage des Selbstwerts ist, kann er schwanken oder eher stabil sein, was sicherlich auch unsere Zufriedenheit und unser Wohlbefinden beeinflusst.
Die Basis für die Bewertung des abhängigen Selbstwerts kann beispielsweise sein …
Soziale Anerkennung (Beliebtheit)
Aussehen
Materielle Erfolge (Vermögen)
Vergleiche mit anderen
Der erste Selbstwert ist also von äußeren Standards abhängig. Das eigene Verhalten ist darauf ausgelegt, die oben genannten Ziele zu erreichen. Je nachdem wie gut das gelingt, schwankt der eigene Selbstwert. Meist sind es keine Endziele, dahinter steckt oft etwas Anderes. Gutes Aussehen bringt beispielsweise Aufmerksamkeit und Anerkennung, die zu einem höheren (abhängigen) Selbstwert führen können. Das ist nicht unbedingt schlecht und kann auch manche Dinge erleichtern, aber so wie gutes Aussehen, Bekanntheit oder Erfolg kann auch der abhängige Selbstwert schwanken.
Der abhängige Selbstwert kann sehr kontrollierend sein, weil er mit dem Erreichen von externen Standards verbunden ist. Das eigene Verhalten ist von den oben genannten, äußeren Zielen motiviert und spiegelt nicht unbedingt unsere wirklichen Werte, Überzeugungen oder Neigungen wider. Der Raum für Selbstbestimmtheit ist dementsprechend kleiner. Die Fähigkeit einer Person, ihre eigenen Ziele, Werte und Entscheidungen zu bestimmen und zu verfolgen, kann beeinträchtigt sein.
Der zweite Selbstwert basiert dagegen vor allem auf inneren Qualitäten wie Selbstakzeptanz, Selbstliebe und Selbstvertrauen. Man akzeptiert sich selbst mit all seinen Stärken und Schwächen und hat ein tiefes Vertrauen in seine Fähigkeiten. Man weiß, dass man wertvoll ist, unabhängig davon, ob man Lob von anderen erhält oder nicht. Man verfolgt seine eigenen Ziele und lässt sich nicht von den Erwartungen anderer beeinflussen. Dieser Selbstwert ist also nicht oder zumindest weniger abhängig von äußeren Faktoren wie Leistung, Status oder der Zustimmung von anderen.

Unterm Strich geht es darum, eine gesunde Balance zu finden zwischen der Anerkennung und Wertschätzung von externen Einflüssen und der Fähigkeit, sich selbst unabhängig von ihnen zu akzeptieren und zu lieben. Es scheint weder gut zu sein, den eigenen Wert ausschließlich von externen Standards abhängig zu machen, noch komplett selbstzentriert zu sein und die Bedürfnisse und Gefühle von anderen zu ignorieren.
So wie der Big Mac bei McDonald’s, ist Selbstakzeptanz ein zentrales Element des (auf inneren Qualitäten basierten) Selbstwertes. Dabei scheint es auch darum zu gehen, seine Stärken und vor allem Schwächen anzunehmen. Aus den Stärken können wir Selbstvertrauen ziehen, die Schwächen repräsentieren Bereiche, in denen wir noch besser werden können - wenn wir wollen.
Ich habe mir ein Mantra zurechtgelegt, um meine Selbstakzeptanz zu steigern und gleichzeitig das Maximum aus meinen Stärken und Schwächen herauszuholen. Abends sage ich meinen Kindern und mir vor:
„Du bist toll so wie du bist, mit all deinen Stärken und Schwächen, und kannst - wenn du willst - jeden Tag ein bisschen besser werden.“
Einerseits versuchen wir dadurch, uns so zu akzeptieren wie wir sind (mit all unseren Eigenheiten), und andererseits eröffnet uns das die Möglichkeit, uns - wo, wann und wie wir wollen - weiterzuentwickeln.
7. Selbstbestimmtheit & Selbstverwirklichung: I have a dream...
Wie weiter oben beschrieben, bezieht sich Selbstbestimmtheit auf die Fähigkeit einer Person, ihre eigenen Ziele, Werte und Entscheidungen zu bestimmen und zu verfolgen, unabhängig von äußeren Einflüssen oder Zwängen.
Mit Zielen können auch Wünsche oder Träume gemeint sein. Dinge, die wir gerne machen würden, die wir aber vielleicht aufschieben oder uns für einen späteren Zeitpunkt aufbehalten. Vielleicht ist es das Erlernen eines Instruments, ein handwerkliches oder künstlerisches Hobby, das uns erfüllen und dem Leben zusätzlichen Sinn geben könnte. Klar, Zeitknappheit ist ein Thema und es gibt auch Verpflichtungen, die nicht aufschiebbar scheinen.

Möglicherweise schaffen wir es aber trotzdem, täglich etwas Zeit in das zu investieren, was wir gerne machen würden. In eine glückliche Aktivität, die für sich genommen bereits eine Belohnung ist, weil sie unseren Neigungen entspricht. Das zu machen, was uns persönlich wichtig ist, führt oft auch zur Befriedigung unserer wahren Bedürfnisse.
Dadurch kann auch zusätzliche Kompetenz aufgebaut werden. Kompetenz bedeutet, etwas gut oder sehr gut zu können. Sie kann über Wiederholungen aufgebaut werden. So wie Sportler, die immer wieder einen bestimmten Bewegungsablauf wiederholen, um ihn zu perfektionieren. Dieses Prinzip kann auf vieles angewandt werden und hat kaum Grenzen. Limitierend können die eigene Angst oder Bequemlichkeit sein. Meist ist es das, was uns von der Entfaltung unserer vollen Potentiale abhält. Ich sehe das bei mir immer wieder. Die Angst davor, etwas falsch zu machen oder zu scheitern, hält mich manchmal davon ab zu zeigen, was ich wirklich kann. Aber es fühlt sich gut an, bewusst dagegen zu steuern und Fortschritt zu machen.
Vor einiger Zeit sollte ich eine Präsentation auf Französisch vortragen, was mich ziemlich nervös machte. Trotz guter Vorbereitung war ich mir nicht zu 100% sicher, ob das was werden würde. Auch wenn es nicht perfekt war, hat es ganz gut geklappt und mein Französisch ist durch die Vorbereitung auf die Präsentation merklich besser geworden.
Fehler oder das eigene Scheitern geben uns auch immer die Möglichkeit, etwas zu verbessern. Die damit verbundenen negativen Emotionen können wichtige Signale für Dinge sein, die wir verbessern können, um auf das nächste Level zu kommen. Oder wie Charles de Montesquieu gesagt haben soll „Zufriedenheit ist nicht die Abwesenheit von Problemen, sondern die Fähigkeit mit ihnen umzugehen.“ So wie andere Fähigkeiten, kann sicherlich auch die ‚Fähigkeit mit Problemen umzugehen‘ (weiter-)entwickelt werden.
Fortschritt in oder mit etwas zu machen, was vielleicht zunächst nicht funktioniert hat, fühlt sich unglaublich gut an. Ich will den Bogen nicht überspannen, aber wäre es nicht langweilig, wenn man etwas machen und es immer perfekt funktionieren würde!? Wie ein Golfer, der bei jedem Schlag ein Hole-in-one schaffen würde. Das wäre einige Zeit sicherlich ganz interessant, aber auf Dauer wäre das nicht spannend.
Die meisten Hollywood-Filme sind darauf aufgebaut, das sich der Held in einem Kampf mit einem Gegner oder mit sich selbst (interner Konflikt) befindet und einen Weg zur ‚Problemlösung’ finden muss. Die Spannung entsteht dadurch, dass er längere Zeit braucht, die Herausforderung zu bewältigen und, dass es auf dem Weg immer wieder überraschende Höhen und Tiefen gibt.
Vielleicht ist es auch das, was unser Leben spannend macht. Es funktioniert nicht immer alles beim ersten Mal. Manchmal sind gerade ‚Siege‘ mit hohem Einsatz die süßesten. Ich habe das auch beim Eishockey gesehen, wo knapp erkämpfte Siege zur größten Genugtuung führen.
Vielleicht ist es auch deswegen besonders spannend zu versuchen, sich auf die eine oder andere Weise selbst zu verwirklichen, auch wenn es möglicherweise erst beim x-ten Versuch funktioniert.
8. Selbstbestimmtheit (fördern) wie Koks für Beziehungen
So wie es für das eigene Wohlbefinden wichtig ist, selbstbestimmt zu handeln, ist es auch essentiell, die Selbstbestimmtheit bei anderen zu fördern. Damit tun wir nicht nur anderen, sondern auch uns selbst etwas Gutes. Denn das, was wir in Beziehungen investieren, kann wie ein Boomerang sein und so oder in ähnlicher Form zurückkommen.

Bei anderen (z.B. Kindern) Selbstbestimmtheit zu fördern, kann zu einem gestärkten Selbstvertrauen und Selbstwert führen. Das Gefühl, in der Lage zu sein, Entscheidungen zu treffen und sein Leben aktiv zu gestalten, trägt dazu bei, das individuelle Wohlbefinden zu steigern. Wir können die positive Wirkung von mehr Selbstbestimmtheit nicht nur zuhause, sondern auch am Arbeitsplatz sehen. Laut PWC scheinen Angestellte, die ein Gefühl von Autonomie (=Selbstbestimmtheit) haben, leistungsfähiger, zufriedener und mit dem Unternehmen stärker verbunden zu sein. Im Allgemeinen geht es darum, ein Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben zu haben.
Angenommen dich ruft am Abend eine gute Freundin oder ein guter Freund an, um zu fragen, ob du etwas unternehmen willst. Wie würdest du dich fühlen, wenn dein Partner oder deine Partnerin dazu einfach „Nein“ sagen würde? Ist mir schon passiert und mir gefällt es nicht, wenn eine andere Person über mich bestimmt. Das hat einen unangenehm bitteren Beigeschmack und fühlt sich nicht gut an.
Es geht vielleicht auch nicht darum, immer nur das zu machen, was wir wollen, sondern eher um das Gefühl, Kontrolle über sein eigenes Leben zu haben. Der Partner / die Partnerin könnte seine / ihre Präferenz mitteilen, aber die Entscheidung der Person überlassen, die gefragt wurde. Er / Sie könnte beispielsweise sagen: „Ich weiß, dass es dir wichtig ist, heute X zu tun oder Y zu treffen, aber ich hatte einen ziemlich anstrengenden Tag und es wäre eine große Hilfe, wenn du für mich und die Kinder heute da wärst.“ Vermutlich ist das Ergebnis ähnlich - wir bleiben zu Hause, aber ist nicht das Gefühl, selbst die Entscheidung zu treffen und die darauffolgende Stimmung in diesem zweiten Fall besser..?
Selbstbestimmtheit bei anderen zu fördern ist ein Weg unsere Beziehungen zu stärken. Das kann zu einem gesunden Selbstvertrauen und Selbstwert beitragen. Wie im Beispiel oben, kann Selbstbestimmtheit bei anderen gefördert werden, indem wir der anderen Person zeigen, dass wir 1) verstehen, was sie fühlt und sagt (auch wenn wir vielleicht anderer Meinung sind), und indem wir 2) die Person (mit-)entscheiden oder ihr die Wahl überlassen.
Aus eigener Erfahrung mit drei Kindern weiß ich, dass das nicht immer leicht fällt, vor allem dann nicht, wenn es stressig ist, weil die Zeit knapp ist oder man gerade nicht in der richtigen Stimmung oder in der Lage ist. Es muss auch nicht immer klappen. Es ist ein längerer Prozess, bei dem wir immer wieder die Möglichkeit haben werden, Selbstbestimmtheit zu fördern und so die eigenen Beziehungen zu verbessern - sei es mit dem Partner / der Partnerin, den Kindern, den Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen.
Bis bald,
Matthias
9. Quellen
Deci, E. L., & Ryan, R. M. 1995. “Human autonomy: The basis for true self-esteem.“ In M. H. Kernis (Ed.), Efficacy, agency, and self-esteem, 31–49. Plenum Press.
Hawk Ryan, Gastgeber, "#549: Dr. Sara Kuburic - Take Ownership, Accept Hard Truths, Discover Your SELF, & Change Your Life (It's On Me)", https://podcasts.apple.com/at/podcast/the-learning-leader-show-with-ryan-hawk/id985396258?i=1000631405454.
Moss, S. A., & Wilson, S. G. 2015. "The positive emotions that facilitate the fulfillment of needs may not be positive emotions at all: the role of ambivalence." Explore (New York, N.Y.), 11(1), 40–50. https://doi.org/10.1016/j.explore.2014.10.006.
PWC. “Insights and Case Studies: Provide Autonomy.“ Accessed on March 25, 2024. https://www.pwc.com/gx/en/services/workforce/publications/provide-autonomy.html.
Waldinger, R. & Schulz, M. 2023. The Good Life - Lessons from the World's Longest Scientific Study of Happiness. New York: Simon & Schuster.
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